Kann ich meine Kinder enterben?

Teil 2: Möglichkeiten zur Reduzierung und Aufhebung des Pflichtteils­ergänzungs­anspruchs

1. Was ist der Pflichtteilsergänzungsanspruch?

Wird ein Pflichtteilsberechtigter enterbt, hat er in der Regel dennoch einen Anspruch gegen die verbliebenen Erben in Höhe der Hälfte des gesetzlichen Erbteils (so genannter Pflichtteil). Diese Pflichtteilsquote soll nahe Angehörige vor einer vollständigen Enterbung schützen. Abkömmlinge, Ehegatten und die Eltern kinderloser Erblasser können daher von Gesetzes wegen de facto nicht vollständig enterbt werden.

Wenn der Erblasser diesen Pflichtteilsanspruch eines ungeliebten Erben aber vermeiden möchte, kann er diesen ganz einfach aushöhlen und sogar ganz auf Null reduzieren, wenn er zu Lebzeiten wesentliche Teile seines Vermögens etwa seinem bevorzugten Lieblingskind oder einer wohltätigen Organisationen schenkt.  

Um dies wiederum zu verhindern, hat der Gesetzgeber in § 2325 BGB vorgesehen, dass Schenkungen, die der Erblasser in seinen letzten 10 Lebensjahren vorgenommen hat, zu einer Ergänzung des Pflichtteilsanspruchs führen. 

Hat er Schenkungen an den Ehegatten vorgenommen, so gilt nicht einmal die Begrenzung auf 10 Jahre. In diesem Fall werden nämlich sämtliche Schenkungen und Zuwendungen während der Ehezeit zu Gunsten des Pflichtteilsberechtigten bei der Pflichtteilsberechnung berücksichtigt.

Konkret bedeutet dies, dass der ausgeschlossene Erbe von den Erben den Geldbetrag fordern kann, um den sich ihr Pflichtteil erhöht hätte, wenn sich der verschenkte Gegenstand noch im Nachlass befunden hätte.

Wichtig!

  • Der Pflichtteilsergänzungsanspruch soll verhindern, dass Erblasser den Pflichtteilsanspruch ihrer Kinder schmälern, indem sie Teile ihres Vermögens verschenken.
  • Zur Berechnung des Pflichtteilsergänzungsanspruchs werden alle Schenkungen herangezogen, die der Erblasser innerhalb von zehn Jahren vor seinem Tod vorgenommen hat (Ausnahme: Schenkung an Ehepartner, s.o.)
  • Machen pflichtteilsberechtigte Erben einen Pflichtteilsergänzungsanspruch geltend, so reduziert sich dieser pro Jahr zwischen Schenkung und Tod um 10 Jahre, bis er nach 10 Jahren auf Null herunterreduziert wird (so genanntes Abschmelzungsmodell). Stirbt der Erblasser im elften Jahr nach der Schenkung, wird diese nicht mehr bei der Berechnung des Pflichtteilsergänzungsanspruchs berücksichtigt.

2. Wer hat einen Pflichtteilsergänzungsanspruch?

Alle Erben, die pflichtteilsberechtigt sind, also die eigenen Abkömmlinge, Ehepartner und bei kinderlosen Erblassern auch die Eltern, können auch einen Pflichtteilsergänzungsanspruch geltend machen.

Darüber hinaus geht die Pflichtteilsberechtigung auch auf die Enkel des Erblassers über, wenn dessen Kinder bereits vor ihm verstorben sind.

3. Wann verjährt ein Pflichtteilsergänzungsanspruch?

Der Pflichtteilsergänzungsanspruch verjährt üblicherweise nach drei Jahren. 

Die Frist beginnt allerdings erst nach Ablauf des Jahres, in dem der Pflichtteilsberechtigte Kenntnis über die Schenkung erhalten hat, die zum Pflichtteilsergänzungsanspruch geführt hat. Hat der Enterbte etwa im März 2021 von einer den Pflichtteil­ergänzungsanspruch auslösenden Schenkung erfahren, verjährt sein Anspruch erst am 31.12.2024.

Die maximale Verjährungsfrist für die Pflichtteil­ergänzungsanspruch beträgt 30 Jahre. Mithin kann der Pflichtteilsberechtigte seinen Ergänzungsanspruch auch noch geltend machen, wenn sie erst viele Jahre nach dem Tod des Erblassers von einer ergänzungspflichtigen Schenkung erfährt.

4. Was bedeutet das so genannte „Abschmelzungsmodell“?

Um den Beschenkten ein gewisses Maß an Rechtssicherheit zu geben, gilt seit 2010 bei der Berechnung der Pflichtteilsergänzung das sogenannte Abschmelzungsmodell. 

Nach diesem Modell schmilzt der aus Schenkungen zu errechnende Pflichtteils­ergänzungs­anspruch in zehn Jahren vor dem Todesfall jeweils pro Jahr um zehn Prozent ab, bis er nach Ablauf der zehn Jahre auf Null sinkt.

Stirbt Erblasser also im ersten Jahr nach seiner Schenkung, erhält der Pflichtteilsberechtigte noch den kompletten Pflichtteil. Im 11. Jahr nach der Schenkung ist der ergänzende Pflichtteil dann auf Null geschrumpft.

Die nachfolgende Tabelle soll nochmals die Auswirkungen des Abschmelzungsmodells in jedem Jahr nach der erfolgten Schenkung verdeutlichen.

Tabelle: Abschmelzmodell
Leistung des Schenkungsgegenstandes durch den Erblasser erfolgte …Berücksichtigung des Schenkungswertes beim Pflichtteils­ergänzungs­anspruch mit …
im 1. Jahr vor dem Erbfall100%
im 2. Jahr vor dem Erbfall90%
im 3. Jahr vor dem Erbfall80%
im 4. Jahr vor dem Erbfall70%
im 5. Jahr vor dem Erbfall60%
im 6. Jahr vor dem Erbfall50%
im 7. Jahr vor dem Erbfall40%
im 8. Jahr vor dem Erbfall30%
im 9. Jahr vor dem Erbfall20%
im 10. Jahr vor dem Erbfall10%
im 11. Jahr vor dem Erbfall oder früher0%

Praxistipp:

Für den Beginn der Ausschlussfrist ist laut Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs nicht die Leistungshandlung ausschlaggebend (etwa der Notarvertrag bei der Schenkung eines Grundstücks), sondern auch der Leistungserfolg (etwa die Eintragung des Beschenkten im Grundbuch).

5. Wann gilt das Abschmelzungsmodell nicht?

a. Wohnrecht und Nießbrauchsvorbehalt

In vielen Fällen verschenken Eltern ihren Kindern eine Immobilie unter Nutzungs- oder Nießbrauchsvorbehalt. Dadurch sichern sie sich ein Wohnrecht in der verschenkten Immobilie oder deren Erträge aus Vermietung und Verpachtung.

Die Zehnjahresfrist des Abschmelzungsmodells beginnt in diesen Fällen nicht zu laufen. Der Pflichtteil schmilzt nicht ab.

Dies bedeutet, dass in diesen Fällen der Wert der verschenkten (aber selbst oder gewinnbringend genutzten) Immobilie im Erbfall voll in die Berechnung der Pflichtteilsergänzung vollständig zu berücksichtigen ist. Dies gilt auch, wenn die Schenkung 30 Jahre und mehr zurückliegt.

Beispiel:

Die Eltern verstehen sich gut mit ihrer Tochter Stefanie und überschreiben ihr im Alter von 55 Jahren ihr Haus. Sie behalten sich jedoch sowohl das Wohnrecht als auch den Nießbrauch an der Immobilie vor. Stefanies Bruder Michael, mit dem sich die Eltern zerstritten hatten, erhält nichts.

Als die Eltern 35 Jahre später bei einem Flugzeugabsturz ums Leben kommen, geht Stefanie davon aus, nunmehr als Alleinerbin allein über das Haus verfügen zu können. Doch sie hat sich getäuscht. Ihr Bruder Michael macht nun seinen Pflichtteilsergänzungsanspruch geltend. Das Haus ist aufgrund der Wertsteigerung seit der Schenkung 1 Million Euro wert. Michaels Erbteil hätte mithin 500.000 Euro betragen. Aufgrund der (bereits lange zurückliegenden) Schenkung hat er mithin einen Pflichtteilsergänzungsanspruch in Höhe von 250.000 Euro.

Der Pflichtteilsergänzungsanspruch ist begründet, da sich die Eltern seinerzeit ein Wohn- und Nießbrauchsrecht eintragen ließen.

Im Ergebnis muss Stefanie das Haus nun verkaufen, um ihrem Bruder Michael die 250.000 Euro als Pflichtteilsergänzung aus dem Nachlass ausbezahlen zu können.

b. Schenkungen unter Ehegatten

Eine weitere Ausnahme vom Abschmelzungsmodell zugunsten von Pflichtteilsberechtigten ist die Schenkung unter Ehegatten. Stirbt ein Ehepartner, sind alle Schenkungen, die der Erblasser während der gesamten Ehezeit an den überlebenden Ehegatten gemacht hat, ergänzungspflichtig, auch wenn sie Jahrzehnte zurückliegen.

Die Zehn-Jahres-Frist beginnt erst mit der Auflösung der Ehe.

6. Schenkungen, die faktisch den Pflichtteilsergänzungsanspruch reduzieren!

Was der Gesetzgeber rechtlich ausschließen wollte, ist in der praktischen Realität dennoch machbar.

So berechtigen etwa Schenkungen mit Bargeld theoretisch einen Pflichtteilsergänzungsanspruch, sind jedoch in der Praxis in der Regel nicht nachweisbar.

Auch kann der Erblasser für sein Lieblingskind Rechnungen begleichen, ohne dass dies im Erbfall in Erfahrung gebracht und belegt werden kann.

Eine in der Praxis ebenfalls weit verbreitete Methode, um Pflichtteilsergänzungsansprüche zu vermeiden, ist die Tarnung einer Vermögensübertragung als reguläres Geschäft, etwa der Kauf der Immobilie durch einen Erben, um diesem in einem zweiten Schritt aber das Geld in bar und ohne Nachweis zurückzugeben.  

Schließlich kann der Erblasser auch die Möglichkeit des Abschmelzmodells nutzen und „mit warmer Hand“ mit Schenkungen beginnen. Je nach Alter und Gesundheitszustand des Erblassers ist diese Möglichkeit mit großer Wahrscheinlichkeit von Erfolg gekrönt.

7. Vorempfänge reduzieren den Pflichtteilsergänzungsanspruch!

Hat ein Erbe zu Lebzeiten des Erblassers bereits Schenkungen und Zuwendungen erhalten, so sind diese „Vorempfänge“ dem Pflichtteilsberechtigten immer anzurechnen. Dadurch vermindert sich sein Anspruch oder löst diesen sogar vollständig auf.

Wann die Vorempfänge stattgefunden haben, spielt keine Rolle.

Dies gilt selbst dann, wenn der Erblasser in seinem Testament keine Anrechnung angeordnet hat.

Beispiel:

Der Sohn Michael hat von seiner Mutter vor 30 Jahren eine Wohnung im Wert von 500.000 Euro geschenkt bekommen. Zum gleichen Zeitpunkt hat die Mutter seiner Schwester Stefanie ein Haus im Wert von 1 Million Euro geschenkt, sich hieraus aber ein Wohnrecht vorbehalten. Nach dem Tod der Mutter errechnet sich zunächst aus der Schenkung an Stefanie ein Pflichtteilsergänzungsanspruch für Michael in Höhe von 250.000 Euro (Pflichtquote in Höhe des halben Erbteils). Aufgrund des Vorempfangs der Wohnung im Wert von 500.000 Euro, der den Pflichtteilsergänzungsanspruch übersteigt, muss Stefanie ihrem Bruder jedoch kein Geld ausbezahlen.

8. Zuwendungen, die keinen Pflichtteilsergänzungsanspruch begründen!

Einige Schenkungen begründen keine Pflichtteilsergänzungsansprüche.

a. Anstandsschenkungen

Dies sind zum einen die so genannten Anstandsschenkungen.

Anstandsschenkungen sind Schenkungen, die üblicherweise zu Geburtstagen, zu Weihnachten, Hochzeiten oder bestandenen Examina überreicht werden.

Darüber hinaus gelten auch Mitbringsel wie Blumensträuße, Pralinen oder Weinflaschen als Anstandsschenkungen, die keinen Pflichtteilsergänzungsanspruch begründen, selbst wenn sie über eine gewisse Zeit in großer Anzahl bei vielen Gelegenheiten verschenkt wurden und insgesamt ein erhebliches Vermögen darstellen, das nicht mehr existiert.

b. Pflichtschenkungen

Der Begriff der Pflichtschenkung ist im Gegensatz zur Anstandsschenkung schwerer auszulegen. Mit seiner Einführung wollte der Gesetzgeber Leistungen in beträchtlicher Höhe ohne Gegenleistung abdecken, die „sittlich“ geboten waren. „Sittliche“ Schenkungen sind in diesem Zusammenhang alle Leistungen ohne Gegenleistung, die nach allgemeiner Gewohnheit gut und angemessen und damit geboten waren, um Personen bedenken zu können, die etwas unentgeltlich geleistet haben.

Auch diese Schenkungen schließen Pflichtteilsergänzungsansprüche aus.

Wann im Einzelfall eine Pflicht- und Anstandsschenkung vorliegt, beschäftigt die Gerichte immer wieder aufs Neue. Häufig wehren sich Erben nämlich dagegen, dass „Pflichtschenkungen“ überhaupt oder in der erfolgten Höhe anerkannt werden. Solche Klagen führen durchaus berechtigt zum Erfolg, wenn etwa eine minimale Leistung einer hohen Schenkung gegenübersteht.

Beispiel aus der Rechtsprechung zu Pflicht- und Anstandsschenkungen:

Das Vorliegen einer Pflicht- und Anstandsschenkung wurde bejaht in einem Fall, in dem der Sohn seine eigene Berufstätigkeit aufgegeben hatte, um das Geschäft der Eltern weiterzuführen, die mittlerweile zu alt geworden waren. Mit den Geschäftseinnahmen sorgte der Sohn für den Unterhalt der Eltern und den Erhalt ihres Hauses. Die Eltern schenkten dem Sohn daraufhin das Haus. Diese Schenkung war im vorliegenden Fall sittlich geboten, denn der Sohn konnte in dieser Zeit keine Einnahmen für sich aus eigener Berufstätigkeit erwirtschaften und hatte deutliche Nachteile hinzunehmen. In diesem Fall löste die Zuwendung der Eltern an den Sohn nach dem Erbfall keinen Pflichtteilsergänzungsanspruch aus.

9. Anwaltliche Beratung

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Dieser Artikel wird regelmäßig auf Aktualität geprüft.

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