Lockerung des Insolvenz- und Gesellschaftsrechts sowie zivilrechtliche Änderungen aufgrund der Covid-19-Pandemie

Am 25.03.2020 hat der Bundestag den nur kurz zuvor am 16. März angekündigten Entwurf des Gesetzes zur Abmilderung der Folgen der COVID-19-Pandemie im Zivil-, Insolvenz- und Strafverfahrensrecht verabschiedet. Der Bundesrat hat dem Gesetz am 27. März zugestimmt und noch am gleichen Tag ist es im Bundesgesetzblatt verkündet worden und in Kraft getreten.

Die Änderungen durch das COVInsAG umfassen im Einzelnen:

1. Änderungen zur Insolvenzantragspflicht 

2. Änderungen der Haftung für verbotene Auszahlungen nach Eintritt der Insolvenzreife 

3. Schutz bestimmter Transaktionen vor Insolvenzanfechtung

4. Erleichterungen bei der Corporate Governance von Aktiengesellschaften (unter anderem „virtuelle″ Hauptverhandlung), Genossenschaften und Vereinen

5. verstärkter Schutz von Schuldnern im Rahmen von Miet- und Darlehensverträgen 

6. Leistungsverweigerungsrechte für Verbraucher und Kleinstunternehmen, unter der Voraussetzung, dass diese infolge der Covid-19-Pandemie nicht mehr leisten können oder ihnen die Leistung unzumutbar geworden ist.

Darüber hinaus enthält der Gesetzesentwurf auch Änderungen zur Strafprozessordnung (StPO) bezüglich der Hemmung von Hauptverhandlungen während der Dauer von Schutzmaßnahmen gegen die COVID-19-Pandemie. 

1. Aussetzung der Insolvenzantragspflicht bis mindestens zum 30. September 2020 

Gemäß § 1 des COVInsAG, der die zentrale Vorschrift des COVInsAG bildet, gilt:

„Die Pflicht zur Stellung eines Insolvenzantrags nach § 15a InsO und nach § 42 Absatz 2 BGB ist bis zum 30. September 2020 ausgesetzt. Dies gilt nicht, wenn die Insolvenzreife nicht auf den Folgen der Ausbreitung des SARS-CoV-2 (COVID-19-Pandemie) beruht oder wenn keine Aussichten darauf bestehen, eine bestehende Zahlungsunfähigkeit zu beseitigen. War der Schuldner am 31. Dezember 2019 nicht zahlungsunfähig, wird vermutet, dass die Insolvenzreife auf den Auswirkungen der COVID-19-Pandemie beruht.“

Im Ergebnis bedeutet dies, dass die Aussetzung der Insolvenzantragspflicht bis zum 30. September 2020 den Regelfall darstellt. Die Aussetzung greift nur nicht in Fällen, in denen die Insolvenzreife nicht auf den Folgen der COVID-19-Pandemie beruht oder generell keine Aussichten auf Beseitigung der Zahlungsunfähigkeit bestehen. Gemäß § 1 Satz 2 COVInsAG  implementierd dabei  eine Vermutungsregel, nach der die Insolvenzreife auf den Auswirkungen der Pandemie beruhe.

Sowohl die Zahlungsunfähigkeit als auch die Überschuldung von Unternehmen sind von der Aussetzung der Insolvenzantragspflicht umfasst. Allerdings knüpft die Vermutung der Begründung der Insolvenzreife auf der COVID-19-Pandemie nur an die Zahlungsunfähigkeit an. Diese kann im Gegensatz zur insolvenzrechtlichen Überschuldung auch relativ leicht (auch nachträglich) dargelegt werden und ist daher als Anknüpfungspunkt auch besser geeignet.

In der Folge des Inkrafttretens des COVInsAG wird nicht in jedem Fall eindeutig sein, ob und wann eine Insolvenzreife auf der COVID-19-Pandemie beruht. 

Entstehen hierüber im Nachgang Streitigkeiten – etwa mit dem Insolvenzverwalter – ist noch nicht eindeutig geregelt, wen die Beweislast hierzu trifft.

Praxistipp:

Sollte ein Umsatzrückgang, Zahlungsausfall oder Auftragsabbruch nicht auf den ersten Blick als Folge auf die COVID-19-Pandemie zurückzuführen sein, sollte das betroffene Unternehmen alle Auswirkungen klar dokumentieren und gegebenenfalls durch Rückfragen Klarheit geschaffen werden. 

Klarstellungen, warum ein Kunde einen Auftrag nicht erteilt oder eine Forderung nicht beglichen hat, können in vielen Fällen dazu führen, dass in einer späteren Auseinandersetzung die Vermutungsregelung zu Gunsten des Unternehmens ausfällt. 

Daneben betreffen die Änderungen des COVInsAG auch Insolvenzanträge von Gläubigern. Werden diese innerhalb von drei Monaten ab Inkrafttreten des Gesetzes gestellt, wird vorausgesetzt, dass der Insolvenzgrund bereits am 1. März 2020 vorlag.

2. Lockerung der Zahlungsverbote bei Aussetzung der Insolvenzantragspflicht

Durch das COVinsAG wurden Zahlungsverbote, auf deren Grunlage Geschäftsführer für Zahlungen nach Eintritt der Insolvenzreife haften, nicht grundsätzlich suspendiert. Bei Vorliegen der Voraussetzungen der Aussetzung der Insolvenzantragspflicht werden jedoch auch die Zahlungsverbote gelockert. 

Demnach tritt keine Haftung ein bei Zahlungen, die im ordnungsgemäßen Geschäftsgang erfolgen, insbesondere solche Zahlungen, die der Aufrechterhaltung oder Wiederaufnahme des Geschäftsbetriebes oder der Umsetzung eines Sanierungskonzepts dienen. Diese gelten dann als mit der Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters vereinbar.

3. Weitgehender Ausschluss von Insolvenzanfechtung 

Soweit die Voraussetzungen der Aussetzung der Insolvenzantragspflicht vorliegen, schließen diese auch das Risiko einer künftigen Insolvenzanfechtung weitgehend aus. 

So gelten die bis zum 30. September 2023 erfolgende Rückgewähr eines im Aussetzungszeitraum gewährten neuen Kredits und die im Aussetzungszeitraum erfolgte Bestellung von Sicherheiten zur Absicherung solcher Kredite als nicht gläubigerbenachteiligend und können daher nicht angefochten werden. Weder Kreditgewährung noch Besicherung sind in diesem Fall nicht als sittenwidrig anzusehen.

Erbringt der Schuldner in den letzten drei Monaten vor der Insolvenz eine Leistung an einen Gläubiger, die dieser in der Art und Weise und zu dieser Zeit tatsächlich beanspruchen konnte (so genannte „kongruente Rechtshandlung“), entfällt dann die Möglichkeit der Anfechtung nach § 130 Abs. 1 Satz 1 InsO in einem späteren Insolvenzverfahren.

Eine Ausnahme hiervon gilt, wenn der Anfechtungsgegner wusste, dass die Sanierungs- und Finanzierungsbemühungen des Schuldners nicht zur Beseitigung einer eingetretenen Zahlungsunfähigkeit geeignet gewesen sind. 

Schließlich genießt sogar die Rückführung von Gesellschafterdarlehen Schutz vor späterer Anfechtung. In Insolvenzverfahren, die bis zum 30. September 2023 beantragt wurden, finden insoweit die §§ 39 Absatz 1 Nummer 5 und  44a InsO keine Anwendung.

4. Änderungen im Gesellschaftsrecht (Corporate Governance Erleichterungen)

a. Änderungen für Aktiengesellschaften

Gemäß § 118 AktG bedurften bisher Entscheidungen des Vorstands über die Teilnahme der Aktionäre an der Hauptversammlung im Wege elektronischer Kommunikation, die Stimmabgabe im Wege elektronischer Kommunikation und die Zulassung der Bild- und Tonübertragung der Ermächtigung durch Satzung oder Geschäftsordnung. Dies wurde durch die Neuregelung nunmehr dahingehend erleichtert, dass der Vorstand mit Zustimmung des Aufsichtsrats auch ohne Ermächtigung durch Satzung oder Geschäftsordnung Entscheidungen hierüber treffen kann. Weiterhin kann der Vorstand kann auch mit Zustimmung des Aufsichtsrats nunmehr entscheiden, dass eine virtuelle Hauptversammlung abgehalten wird. 

Darüber hinaus kann der Vorstand einer AG nunmehr auch mit Zustimmung des Aufsichtsrats abweichend von § 59 AktG selbst ohne Satzungsermächtigung entscheiden, einen Abschlag auf den Bilanzgewinn an die Aktionäre zu zahlen. 

Die Anfechtung dieser Beschlüsse ist nunmehr weitgehend ausgeschlossen, außer bei Vorsatz oder grober Fahrlässigkeit.

b. Änderungen für GmbHs

Auf Grundlage der neuen Bestimmungen können in Gesellschaften mit beschränkter Haftung nunmehr Gesellschafterbeschlusse in Textform oder durch schriftliche Stimmabgabe gefasst werden.

c. Änderungen für weitere Gesellschaftsformen

Auch für Genossenschaften, Vereine und Stiftungen gelten weitere Corporate Governance Erleichterungen.

5. Änderungen im Zivilrecht aufgrund der Covid-19-Pandemie

Mit Artikel 240 EGBGB hat der Gesetzgeber einen gesetzlich angeordneten Zahlungsaufschub (so genanntes „Moratorium“) für Verbraucher und Kleinstunternehmer eingerichtet. 

Hiernach erhalten Verbraucher und Kleinstunternehmer ein Leistungsverweigerungsrecht, wenn sie ihre Leistung aufgrund von Umständen, die durch die COVID-19-Pandemie entstanden sind, nicht erbringen können oder die Leistungserbringung für sie unzumutbar wäre.

a. Miet- und Pachtverhältnisse 

Ist der Verbraucher oder Kleinstunternehmer ein Miet- und Pachtverhältnis über Grundstücke oder Räume eingegangen, kann dieses durch den Vermieter nicht mehr gekündigt werden, wenn der Mieter in der Zeit vom 1. April 2020 bis 30. Juni 2020 trotz Fälligkeit die Miete nicht leistet und die Nichtleistung begründet ist durch die Auswirkungen der COVID-19-Pandemie. 

Der Mieter ist hierbei verpflichtet, den Zusammenhang zwischen COVID-19-Pandemie und Nichtleistung glaubhaft zu machen. 

Im Ergebnis haben Mieter und Pächter damit die Möglichkeit, die durch Miete entstehenden Fixkosten an ihre Umsatzausfälle anzupassen.

Zu beachten ist jedoch, dass die Forderungen trotzdem entstehen und zu einem späteren Zeitpunkt fällig gestellt werden können. Eine Sanierung auf Kosten der Vermieter ist nicht gewollt.

b. Darlehensverträge mit Verbrauchern

Für Darlehensverträge mit Verbrauchern, die vor dem 15. März 2020 abgeschlossen wurden, gilt, dass alle auf Rückzahlungs-, Zins- oder Tilgungsansprüche des Darlehensgebers, die zwischen dem 1. April 2020 und dem 30. Juni 2020 fällig werden, mit Eintritt der Fälligkeit für die Dauer von drei Monaten gestundet werden. Voraussetzung hierfür ist, dass der Darlehensnehmer Einnahmeausfälle hat, die auf der COVID-19-Pandemie beruhen und dazu führen, dass ihm die Erbringung der geschuldeten Leistung nicht zumutbar ist. 

Für diesen Zeitraum sind Kündigungen des Darlehensgebers wegen Zahlungsverzugs oder wesentlicher Verschlechterung der Vermögensverhältnisse des Darlehensnehmers ausgeschlossen.

6. Inkrafttreten der Neuregelungen

Die Änderungen im Insolvenzrecht treten mit (Rück-)Wirkung vom 1. März 2020 in Kraft und mit Ablauf des 31. März 2021 außer Kraft. 

Die Änderungen im Gesellschaftsrecht treten am Tag nach der Verkündung in Kraft und treten mit Ablauf des 31. Dezember 2021 außer Kraft. 

Die Änderungen im Zivilrecht treten am 1. April 2020 in Kraft. Artikel 240 EGBGB tritt am 30. September 2022 außer Kraft.