Das Zurückbehaltungsrecht im Arbeitsrecht – Rechte und Pflichten von Arbeitnehmern und Arbeitgebern
1. Einführung
Das Zurückbehaltungsrecht ist ein wichtiges rechtliches Instrument, mit dem sowohl Arbeitnehmer als auch Arbeitgeber auf Pflichtverletzungen der Gegenseite reagieren können. Im Arbeitsrecht geht es dabei häufig um die Frage, ob Arbeitnehmer ihre Arbeitsleistung zurückhalten dürfen, wenn der Arbeitgeber den Lohn nicht zahlt, oder ob Arbeitgeber Zahlungen zurückbehalten können, wenn Arbeitnehmer ihre Pflichten verletzen. Der folgende Beitrag gibt einen umfassenden Überblick über die gesetzlichen Grundlagen, die Rechtsprechung und die praktischen Grenzen.
2. Gesetzliche Grundlagen
Das Zurückbehaltungsrecht ist im Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB) geregelt:
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§ 273 Abs. 1 BGB: Allgemeines Zurückbehaltungsrecht bei Ansprüchen aus demselben Rechtsverhältnis.
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§ 320 Abs. 1 Satz 1 BGB: Einrede des nicht erfüllten Vertrages bei gegenseitigen Verträgen.
Wesentliche Unterschiede:
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§ 273 BGB kann durch Sicherheitsleistung des Gläubigers abgewendet werden.
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§ 320 BGB setzt ein unmittelbares Gegenseitigkeitsverhältnis voraus und ist stärker.
Im Arbeitsrecht spielt wegen der Vorleistungspflicht des Arbeitnehmers (§ 614 BGB) meist § 273 BGB eine Rolle.
3. Zurückbehaltungsrecht des Arbeitnehmers
3.1 Wann besteht ein Recht zur Leistungsverweigerung?
Ein Arbeitnehmer kann seine Arbeitsleistung insbesondere dann verweigern, wenn:
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Lohnrückstände bestehen (§ 273 BGB).
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Gefährdung der Gesundheit am Arbeitsplatz vorliegt (§ 618 Abs. 1 BGB, § 4 ArbSchG).
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Belästigung oder sexuelle Belästigung durch Kollegen vorliegt und der Arbeitgeber nicht einschreitet (§ 14 AGG).
3.2 Grenzen und Schranken
Das Zurückbehaltungsrecht darf nicht willkürlich ausgeübt werden. Grenzen ergeben sich insbesondere aus § 242 BGB (Treu und Glauben). Unzulässig ist die Leistungsverweigerung, wenn:
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der Lohnrückstand nur geringfügig ist,
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die Verzögerung kurzfristig ist,
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ein unverhältnismäßig hoher Schaden für den Arbeitgeber droht.
Die Rechtsprechung geht regelmäßig davon aus, dass das Zurückbehaltungsrecht spätestens bei zwei vollen Monatslöhnen Rückstand zulässig ist (vgl. BAG, Urt. v. 19.01.1999 – 9 AZR 405/97).
3.3 Wirkung auf den Lohnanspruch
Wird das Zurückbehaltungsrecht rechtmäßig ausgeübt, befindet sich der Arbeitgeber im Annahmeverzug (§ 615 Satz 1 BGB). Der Lohnanspruch bleibt also bestehen.
Zudem kann der Arbeitnehmer sich arbeitslos melden und Arbeitslosengeld I beanspruchen (sog. Gleichwohlgewährung, § 157 Abs. 3 SGB III).
3.4 Praktische Hinweise für Arbeitnehmer
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Die Ausübung sollte schriftlich erfolgen und den Grund (z. B. ausstehende Gehälter, Gefährdung) genau benennen.
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Gemeinsame Zurückbehaltung mit Kollegen birgt das Risiko, als illegaler Streik gewertet zu werden. Jeder Arbeitnehmer sollte individuell sein Recht geltend machen.
4. Zurückbehaltungsrecht des Arbeitgebers
4.1 Anwendungsfälle
Arbeitgeber können Zahlungen zurückbehalten, wenn:
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Arbeitnehmer Firmengegenstände nicht herausgeben (§ 273 BGB).
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Arbeitnehmer trotz Pflicht zur Mitteilung keine Auskunft über Zwischenverdienst geben (§ 615 BGB).
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Arbeitnehmer bei Krankheit keine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung vorlegen (§ 5 Abs. 1 EFZG, § 7 EFZG).
4.2 Grenzen
Unzulässig ist insbesondere die Zurückbehaltung von:
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Arbeitsbescheinigung (§ 312 SGB III),
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Lohnsteuerkarte/Lohnsteuerbescheinigung,
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Sozialversicherungsmeldungen (§ 28a SGB IV),
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Urlaubsbescheinigung (§ 6 Abs. 2 BUrlG),
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Arbeitszeugnis (§ 109 GewO).
Zudem darf der Arbeitgeber Sozialabgaben nicht einbehalten (§ 23 Abs. 1 SGB IV). Selbst wenn Lohn zurückbehalten wird, sind die Beiträge an die Krankenkasse abzuführen. Verstöße können sogar strafbar sein (§ 266a StGB).
5. Vertraglicher Ausschluss
Grundsätzlich kann das Zurückbehaltungsrecht vertraglich ausgeschlossen oder eingeschränkt werden. Allerdings gelten hier enge Grenzen:
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Im Arbeitsrecht darf der Ausschluss nicht zu einer unangemessenen Benachteiligung des Arbeitnehmers führen (§ 307 BGB).
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Ein vollständiger Ausschluss des Zurückbehaltungsrechts wegen Lohnrückständen wäre daher unwirksam.
6. Fazit
Das Zurückbehaltungsrecht ist im Arbeitsrecht ein wirksames Schutzinstrument, das beiden Seiten zur Verfügung steht:
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Arbeitnehmer können so verhindern, dass sie dauerhaft ohne Vergütung arbeiten.
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Arbeitgeber können sich vor unberechtigten Forderungen oder Pflichtverletzungen schützen.
Allerdings gelten strenge rechtliche Grenzen. Fehler bei der Ausübung können erhebliche Konsequenzen haben – bis hin zum Risiko einer Abmahnung oder Kündigung.
7. Praxistipp
Arbeitnehmer sollten das Zurückbehaltungsrecht stets sorgfältig dokumentieren und ankündigen. Arbeitgeber müssen aufpassen, keine unzulässigen Unterlagen oder Sozialabgaben zurückzuhalten. Im Zweifel empfiehlt es sich, rechtliche Beratung in Anspruch zu nehmen.
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