Zweifel an AU-Bescheinigungen aus dem Ausland

Das Bundesarbeitsgericht (BAG) hat mit Urteil vom 15. Januar 2025 (Az. 5 AZR 284/24) wichtige Leitlinien zum Umgang mit Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen (AU-Bescheinigungen) aus dem Ausland geschaffen. Diese Entscheidung klärt, unter welchen Umständen Arbeitgeber den Beweiswert einer solchen Bescheinigung anzweifeln können und damit die Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall verweigern dürfen. Der Artikel gibt einen Überblick über die rechtlichen Grundlagen und die vom Gericht aufgestellten Kriterien.

1. Rechtliche Grundlagen

Nach § 3 Abs. 1 Entgeltfortzahlungsgesetz (EFZG) besteht für Arbeitnehmer im Krankheitsfall ein Anspruch auf Fortzahlung des Arbeitsentgelts. Dieser Anspruch gilt unabhängig davon, ob die Erkrankung im In- oder Ausland eintritt. Jedoch regelt § 5 EFZG die Anzeige- und Nachweispflichten des Arbeitnehmers, einschließlich der Anforderungen an AU-Bescheinigungen:

  • Nach § 5 Abs. 1 Satz 2 EFZG muss die Arbeitsunfähigkeit und deren voraussichtliche Dauer unverzüglich mitgeteilt werden.
  • Nach § 5 Abs. 2 EFZG gelten bei Erkrankungen im Ausland besondere Nachweispflichten.

2. Beweiswert von AU-Bescheinigungen aus dem Ausland

AU-Bescheinigungen, auch aus dem EU-Ausland, haben grundsätzlich denselben hohen Beweiswert wie solche aus Deutschland. Arbeitgeber können den Beweiswert jedoch anzweifeln, wenn konkrete Umstände vorliegen, die Zweifel an der Glaubhaftigkeit der Bescheinigung begründen. Das BAG hat klargestellt, dass dabei die Gesamtumstände entscheidend sind.

3. Das entschiedene Verfahren: Sachverhalt und Entscheidungsgründe

3.1. Sachverhalt

Ein Arbeitnehmer legte seinem Arbeitgeber während eines Urlaubs in Tunesien eine AU-Bescheinigung eines tunesischen Arztes vor, die eine Arbeitsunfähigkeit bis zum 30. September 2022 bescheinigte. Der Arzt hatte „strenge häusliche Ruhe“ und ein Reiseverbot attestiert. Trotz dieser Vorgaben buchte der Arbeitnehmer einen Tag nach Ausstellung der Bescheinigung ein Fährticket und trat die Heimreise am 29. September 2022 an. Bereits in den Jahren 2017, 2019 und 2020 hatte der Arbeitnehmer nach Urlaubsreisen ähnliche Bescheinigungen vorgelegt. Der Arbeitgeber verweigerte daraufhin die Entgeltfortzahlung.

3.2. Entscheidung des BAG

Das BAG entschied zugunsten des Arbeitgebers. Die Begründung:

  1. Fehlende Differenzierung zwischen Krankheit und Arbeitsunfähigkeit: Eine AU-Bescheinigung muss erkennen lassen, dass der Arzt zwischen einer Erkrankung und einer mit Arbeitsunfähigkeit verbundenen Krankheit unterschieden hat.
  2. Gesamtumstände: Die folgenden Umstände begründeten Zweifel am Beweiswert:
    • Kein Wiedervorstellungstermin wurde vom Arzt angeordnet.
    • Trotz attestiertem Reiseverbot buchte der Arbeitnehmer eine Heimreise.
    • Vorangegangene Fälle von Arbeitsunfähigkeit direkt nach Urlaubsreisen.

Das Gericht betonte, dass bei begründeten Zweifeln der Arbeitnehmer voll beweispflichtig ist, dass er tatsächlich arbeitsunfähig war.

4. Praktische Hinweise für Arbeitgeber

Arbeitgeber sollten folgende Kriterien beachten, um den Beweiswert von AU-Bescheinigungen zu überprüfen:

  • Vorgeschichte: Gab es in der Vergangenheit ähnliche Vorfälle?
  • Reiseverhalten: Steht das Verhalten des Arbeitnehmers im Widerspruch zur Bescheinigung (z. B. Reisen trotz Reiseverbot)?
  • Diagnose: Ist die Krankschreibung auffällig lang bei einer eher harmlosen Erkrankung?
  • Zeitlicher Zusammenhang: Deckt sich die Dauer der Arbeitsunfähigkeit mit Urlaubs- oder Ferienzeiten?

Wenn Zweifel bestehen, können Arbeitgeber den Beweiswert der AU-Bescheinigung anfechten. Wichtig ist, die Zweifel gut zu dokumentieren und im Streitfall anwaltliche Beratung in Anspruch zu nehmen.

5. Fazit

Das Urteil des BAG unterstreicht, dass AU-Bescheinigungen aus dem Ausland nicht unangreifbar sind. Arbeitgeber haben das Recht, bei begründeten Zweifeln den Beweiswert zu erschüttern und die Entgeltfortzahlung zu verweigern. Dabei sind jedoch die gesetzlichen Vorgaben und die individuelle Situation sorgfältig zu prüfen. Das Urteil schafft Klarheit für die Praxis und stärkt die Position von Arbeitgebern bei der Durchsetzung von berechtigten Zweifeln.

 

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